Uelzener Liebesgeschichten
„Nein, nicht das, was du denkst," sagte Alexander mahnend. Dabei hatte ich nur von jener Fischart erzählt, deren Männchen sich rötlich färben, wenn sie auf Brautschau schwimmen. Das hatte ich in einem Aquarium beobachtet. Aber Alexander unterbrach mich und meinte, ihn interessiere das Liebeswerben unter Menschen mehr - zum Beispiel in seinem Kollegium. „Mit Blau macht der das, unser neuer Referendar," berichtete er, „nicht mit Knallrot wie deine Fische." Und dann erzählte Alexander, wie er gestern nach der vierten Stunde mit diesem neuen Referendar den Königsberg entlanggegangen und sich über die mühsamen Anfänge in den 7. Klassen mit ihm einig gewesen sei. Mühsam, weil in den neuen Siebten schließlich all die Früchtchen aus den verschiedenen Orientierungsstufen gelandet seien und auf den wahren Klassengeist warteten. Da, beim fehlenden Klassengeist, habe der Referendar ihn plötzlich unterbrochen und gerufen: „Blau! Blaues Handtuch!" Und weg sei er gerannt und habe noch ergänzend zurückgebrüllt: „Sie ist da - und wartet schon!" Am nächsten Tag in der ersten großen Pause erfuhr Alexander mehr. Die Liebste seines jungen Kollegen - sie ist dies seit gerade zwei Wochen - arbeitet in Bad Bevensen und hat nur unregelmäßige Arbeitspausen. In den wenigen längeren Pausen über Mittag eilt sie in die Ein-Zimmer-Wohnung des Junglehrers und wartet. Über das Balkongeländer hängt sie das blaue Handtuch, wenn sie noch nichts gegessen hat und er etwas mitbringen soll. Pommes zum Beispiel, weil die am schnellsten gehen. Das grüne Handtuch mit den gelben Streifen hingegen hängt sie raus, wenn sie schon gegessen hat und die ganze Zeit frei ist. Für die Liebe. Was sagt uns das?" fragte mein alter Religionslehrer früher nach jedem Bibelabschnitt, und dieselbe Frage stellte nun Alexander. Ich sagte ihm, was mir das sagt. Mir sagt es, daß sich die Methoden nicht geändert haben, nur die Zeiten. Denn der Ur-Uelzener vor 2500 Jahren dürfte dieselben Mittel zur Intim-Verständigung mit der entsprechenden Bevenserin benutzt haben. Nur ohne Balkon. Und nicht viel anders dürfte es zu Burgherren-Zeiten im Uelzener Becken gewesen sein, als das Burgfräulein von der Raubritterturm-Spitze in Suderburg (vermutlich wo heute der Kirchturm steht) bestimmte Winke-Winkes mit ihrem Junker austauschte, der von der Burgspitze in Bodenteich zurückwinkte. Zwar hinkt dieses Beispiel, weil zwischen den beiden ein paar Hügel geographischer Art und Berge von Standesunterschieden lagen, aber meine Erkenntnis stimmt, im Prinzip ist alles ähnlich simpel. Erst von der neuen Generation lerne ich, daß sie neue Mittel für die älteste Verständigung der Menschheit nutzt. Alexander war der Informant: Sein Sohn verehrt auch eine aus Bad Bevensen, ist aber in der Programmierer-Ausbildung in Hamburg. Und dies die ganze Woche über bis zum ersehnten Wochenende. Bei ihm als angehendem Programmierer läuft das tatsächlich anders als bisher: Alexanders Sohn hat seiner Liebsten einen älteren PC mit- und dessen elementaren Gebrauch beigebracht. So daß die Liebste von heute die Disketten, die er täglich von Hamburg nach Bad Bevensen schickt, bequem lesen und sofort darauf antworten oder sich eine Kopie der jeweiligen Liebeserklärung ziehen kann. Als Basis für ein späteres computergestütztes Tagebuch der Beziehungskiste, wie das heute heißt.
10. September 1991