Fast Food-Reisen

Jetzt sind die meisten zurück vom Reisen. Illa war in Australien, Ulrich und seine Lieben auf Mallorca, Josef mit seiner neuen Freundin in Brasilien, Sonja in Texas, Ernst und seine Frau am Nordkap. Früher brachen diejenigen, die eine lange Reise machten, auf in eine unbekannte Welt. Voller Abenteuer, Ungewissheiten. Heute ist kein Staat mehr mit einer Reise zu machen, geschweige gilt man als Abenteurer. Alexander ist solch ein Prototyp, der alles weiß, alles kennt, alles schon besuchte. Oder zumindest die schlechtesten und aktuellsten Testergebnisse über die Reisegegend parat hat. Als Alexander mich fragte, wo ich denn die Sommerferien verbracht hätte und ich „Dänemark" antwortete, war er sichtlich enttäuscht und tonlos. Erst als ich eilig hinzufügte, daß wir von Neustadt/Ostsee aus losgesegelt seien, wandte er sich nochmals kurz um und nickte immerhin. Ein klein wenig anerkennender, hoffte ich. Auch im März, als ich aus immerhin Japan zurückkam und er mich da gefragt hatte, sagte er nur „Ach so alte Kaiserstadt?" und als ich nickte und anhub, ihm erzählen zu wollen, daß ich darüber hinaus auch den Kaiser gesehen habe, da war er schon beim Gang in und seine Hobbywerkstatt blieb verschwunden. Banause. Das Schlimme: Die Alexanders wachsen in unserer reisenüchternen, abgebrühten, alles erfahrenen Gesellschaft. Auf die Erzählungen und Schilderungen der Reisenden von früher wartete man gespannt zuhause, bereit zu staunen und die eigene Phantasie auf die Reise dorthin zu schicken, wo man selbst nie war und auch nicht sein würde aber eben der, der da erzählte. Keine Reise, die meine Onkels nicht in den 50er und 60er Jahren machten, an denen wir Zurückgebliebene nicht teilhatten, durch ausführliche endlose Dia- und Erzähl-Abende. Freiwillig. Solche Dia-Abend-Ansinnen sind heute entweder ein Trauma für die einen - oder ein Freundschaftskündigungsgrund für andere. Heute weiß jeder, was einen in Florida erwartet oder in Thailand, in Lanzarote oder Saas Fee. Abenteuererzählungen von heute? Das sind heute die miesen Erfahrungen mit dem Hotel als Bauplatz, die Mückenstiche, tagelange Magenverstimmungen und die Begegnung mit dem dortigen Arzt oder anders Pech, Pannen oder Pleiten. Wir kennen uns aus in der Welt und mit Kreditkarten und bei deren Verlusten. Beim Fliegen lesen wir weiter - ob sich durch Fenster neben uns der schönste Sonnenuntergang abmüht um Aufmerksamkeit oder heftige Landungen uns erschüttern: Weiterlesen und den Walkman schlimmstenfalls gelangweilt aufsetzen. Aufzubrechen zu neuen Ufern- das wird immer schwieriger. Wir stranden an denselben Stränden, egal wo diese sind. Und wenn der Standard bei Strand oder Hotel nicht stimmt, dann beweisen wir müde Toleranz. Oder lassen prozessieren. Aus diesem Grund suchen wir inzwischen ganz was Neues: Illa wird im Herbst den Sprung kopfvoran mit einem Seil an den Füßen von einer Brücke aus üben...Ulrich hat sich bereits einen Jeep gesichert für eine glutheiße Wüstenfahrt in Tunesien und Josef mit Freundin macht den Pilotenschein. Aber das wird auch nach drei Tagen oder Wochen oder Jahren langweilig, wenn es alle machen. Reisen heute ist wie Speisen bei Mc Donald, schreibt Josianne Walpen aus dem Wallis: Schnell, immer billiger- und überall dasselbe. Wohin ich in den Herbstferien reise? Sag ich nicht gern. Es ist in der Nähe. Ein Spezialangebot mit Kurcharakter. Thema: Lerne Staunen auf Reisen.

9. September 1997