Countdown für Konfirmanden
Alexanders Tochter Katharina hat's schwer mit ihrem Vater. Er ist größtenteils gegen die Konfirmation von ihr, die in diesen Wochen lange Schatten vorauswirft. Alexander ist größtenteils gegen diese Art der Konfirmation, weil die Vorbereitung auf eine heutige Konfirmation größtenteils aus den Prognosen und Einschätzungen darüber besteht, wieviel Knete, wieviel Zaster, wieviel Kasse, wieviel Moneten, wieviel Mille Gesamteinnahme die Konfirmation (ein)bringt. Gott, ist Alexander konservativ! Ich habe ihm versucht klarzumachen, daß die Zeiten vorbei sind, wo eine Konfirmation irgendwelche überzeugte Gläubigkeit der Konfirmanden im Zentrum hat. Moderne Konfirmanden diskutieren bereits vor der Konfirmation darüber, wann frühestens man aus der Kirche austreten könne, ohne daß man dem vielleicht durchaus bemühten Pastor oder den Eltern zu sehr auf die christlich-geistlichen Hühneraugen latscht! Lächerlich, daß das geistige Hauptgeschenk früher eine Bibel und/oder das Gesangbuch in Leder oder Leinen mit goldigen Initialen war (von den Eltern). Und der weltliche Luxus, der zu Alexanders Konfirmation noch genehmigt war, bestand in der ersten Armbanduhr oder einem Fernglas (von den Patinnen). Nein, versuchte ich Alexander klarzumachen, er kann sich nicht die Konfirmation für seine Katharina wünschen, die er selbst mal gefeiert habe. Heute sei Katharina dran und die sei ein Kind einer anderen Zeit. Soll er doch froh sein, wenn sie mit dem vielen Geld, das bei der Konfirmation reinkommt, Umgang mit Finanzen lernt. Schließlich wird solch pädagogischen Konzept ja auch von allen Banken unterstützt, indem sie den Konfirmanden Guthaben-Gutscheine für Kontoeröffnungen schicken. Außerdem Armbanduhren, Bücher, Fernglas und Heimcomputer als Geschenke? Die Teens schwimmen doch darin! Es nützte nichts. Alexander blieb stur und so wird Katharina eine der bemerkenswertesten Konfirmationen feiern, denn ihr Vater hat einen Rundbrief geschickt. Der Brief ging an alle Patinnen und Freundinnen, an alle Eltern der Freundinnen und den Bäcker, an den Getränkewagen-Fahrer und eben auch an mich, der ich einer von Katharinas Paten bin. Darin steht, daß wir bitte „von Geldgeschenken zur Konfirmation meiner Tochter Katharina absehen wollen". Dafür sollten wir uns Geschenke ausdenken, die auf die Person von Katharina ausgerichtet sind. Geschenke, die einen bleibenden Wert und eine bleibende Erinnerung an die Schenkenden sein sollten. „Katharina", schreibt uns ihr Vater Alexander, „soll später nicht vor einer Stereoanlage für 3000,- DM stehen und sich sagen müssen, daß das Cassettendeck (ca. 1200,- DM) zur Hälfte von Großmutti und Onkel Hans-Heinrich und der CD-Teil (nochmal 1000,- DM) von den Eltern stamme. Die Fahrbarkeit der ganzen Anlage sei Tante Ulrike zu danken (Gleitrollen unter dem Ganzen) und die Radio-Anlage mit dem sensationellen Kabelanschluss von den Paten zusammengelegt." Nein, schrieb Alexander, wir möchten uns bitte persönliche Gedanken machen, was Katharina Freude mache, ihren Neigungen und Interessen entgegenkommen würde. Keinen Penny wird die arme Katharina bekommen. Jedenfalls nicht von ihrem engeren familiären Umfeld. Abends telefonierte ich noch mit Ulrike, Alexanders Frau und Katharinas Mutter, um mich nach den Neigungen von Katharina zu erkundigen. Denn von denen hatte ich bis heute keine klare Vorstellung. Jedenfalls weiß ich heute, daß Katharina begeisterte Botanikerin ist. Und tierlieb. Ich begreife, daß die heutige Konfirmation als Finanzumschlagplatz für uns Schenkende die deutlich bequemste Lösung war. Sozusagen die pflegeleichteste Form der Paten-Begleitung. Und nur wegen Alexanders altmodischer Einstellung tigere ich jetzt von Laden zu Spezial Laden und suche eine Botanisier-trommel mit eingebautem computergestützen Barometer plus Kompass. Diese zugegeben einfältige, unkreative, bequeme Geldschenkungs-Technik bei Konfirmationen dürfte aufgrund der Bequemlichkeit und Einfallslosigkeit von uns Schenkenden entstanden sein.
9. März 1993