Stürmische Frauen

Erst bei Carola begriff ich die Zusammenhänge endgültig. Vorher - bei Barbara und Agnes waren es nur Details, waren es nur einzelne Erkenntnisse mitten in dem Sturm, der an mir rüttelte (das war Agnes), mich verfolgte bis in den Tiefschlaf hinein (das war Barbara). Erst nach diesen frühen Eindrücken reifte mein Erkenntnisfortschritt in Bezug auf (diese) Frauen. Und ohne die kurze Verschnaufpause, die mir Carola ließ, wäre ich nicht mal zu diesem ersten kleinen Erkenntnisfortschritt gelangt. Derart tobten die Stürme in mir und um mich. Ich spreche von meiner Erkenntnis, daß die (meteorologischen) Stürme jeweils mit einem weiblichen Vornamen getauft werden. Und die Sturmfolge eines jeden Jahres beginnt mit Adem Alphabet folgend. 1993 gingen entsprechend Agnes, Barbara und Carola über uns hinweg. Diesmal tobten die Stürme nicht nur über Allenbostel, meinem Zentrum der Welt, so daß die Bäume über den Höfen sich bedrohlich bewegten, sie tobten auch über dem peripher gelegenen Uelzen und rissen Ziegel vom Dach wie Menschen aus dem Schlaf? Die letzten Stürme tobten an und zwischen allen Ecken dieser Welt. Taufpate für die Namen der Stürme ist dabei nicht das deutsche Wetteramt, sondern in der Meteorologischen Freien Universität Berlin. Nun Institut interessiert mich die Meteoro-Logie auch nur unter Aspekten der Psychologie, vor allem dann, wenn ich nachforsche und feststelle, daß zwischen dem Deutschen Wetterdienst und dem namensgebenden Berliner Institut nicht einmal der kleine Unterschied besteht: Es sind nämlich (fast) nur Männer dort beim Wetter beschäftigt. Dies wäre ein erster Verständnis-Hintergrund dafür, warum zunächst einmal nur weibliche Vornamen für die Benennung von diesen Stürmen von diesen Männern genutzt werden. Ich hatte nun das Glück, einen dieser Männer vom Berliner Institut kennenzulernen, der mit seiner Frau (Vorname: Barbara) neben mir bei einem Essen saß. Barbara? - Aha! dachte ich für mich und fragte (nach dem Dessert, wo es schon Vertrauter zuging) den Kollegen von der anderen Logie, der Meteorologie, wie diese Namen zustande kämen. Ob seine Sekretärin vielleicht Agnes hieß...? Oder seine Schwiegermutter Carola? (Carola hatte bei uns im Dorf zwei von frischgepflanzten Bäumen umgerissen). Es wäre eine Erklärung: Vielleicht dürfen diese vielen Männer in Berlin diese heranziehenden Stürme benennen mit den Namen der Frauen, der ihnen gerade das Leben leicht und beschwingt machen? Sozusagen ein Symbol des Stürmisch-Leidenschaftlichen in ihren Liebesbeziehungen, an welche die Männer auf diese offizielle Weise dienstlich jede Sekunde denken, sich mit ihr beschäftigen dürfen, mitten im Dienst? Oder sind.es - umgekehrt - die Namen der Frauen, die ihnen das Leben derzeit sauer, bitte zäh und grau vermiesen? Sozusagen eine unauffällige Art der Problemverarbeitung, diese mitten im Dienst? Wäre auch möglich. Allerdings - wie käme das Alphabet zustande? Ich habe mal überschlagen allein mit den mir bekannten Damen und Frauen, Mädchen und weiblichen Ahnen könnte ich vier stürmische Jahre mit monatlich 6 Stürmen taufen. In jedem Fall hat das Thema was Tieferes, was Tiefenpsycho- logisches, diese Art der Sturm- Benennung mit (unseren) Frauen (Namen) und ich werde dem nächsten Sturm nach der verblichenen Carola (vielleicht Dietmut? Vielleicht Dorothea?) ganz anders lauschen und mich nachts mit ihnen, mit ihre herumschlagen. Vielleicht bekomme ich noch die wahren Hintergründe mit. Und die Umbesetzung dieser Dienststelle in Berlin mit Frauen. Welch spannende Folgen für uns Männer.

9. Februar 1993