Auf guten Wegen
Ein wenig frömmelnd? Der Titel erinnert vielleicht an manche Reden auf (früheren) Konfirmationen, an Verse älterer Gesangbuchausgaben, an ganze Landschaften gerahmter Bibelsprüche an Küchen- und Schlafzimmerwänden. Mich erinnern diese drei Worte an die Schulbusse, wie sie jetzt wieder fahren, Kinder an Straßenrändern unserer auch entlegensten Dörfer aufsammelnd, um sie kleine Fahr-Zeiten später um das deutsche Schulwissen in den Klassenzimmern zu versammeln, was sie für ihre großen Lern-Zeiten später brauchen. Woran mich die drei pathetischen Worte „Auf guten Wegen" aber besonders erinnern, ist der Allenbosteler Schulbus. Dieser kann seine Geschichte eben sowenig schreiben wie alle die in ihm transportierten Schülerinnen und Schüler, ohne Marianne Bremer. Ich vermute, daß mit Frau Bremer jetzt die dienstälteste Schulbusfahrerin des Landkreises (oder noch mehr?) in den versuchsweise ruhigen Stand der Rente ging: 1972 begann sie mit dem VW-Bus die Allenbosteler Kinder zu fahren, die wenige Wochen vorher ihre eigene Dorfschule durch Verkauf verloren hatten und nun in die Fremde gefahren werden mussten: nach Ebstorf. Kein noch so neuer VW-Bus ersetzt die eigene Schule. Frau Bremer war sozusagen lebende, mütterliche Übergangsperson, die die Kinder derjenigen, die noch ihre eigene Schule im Dorf hatten, dahin begleitete, wo sie nun doppelt hinmussten: Erstens in die Schule und zweitens weit weg nach Ebstorf. Über ein Vierteljahrhundert fuhr Frau Bremer „ihre Strecke", wie sie jede Schulbusfahrerin, jeder Schulbusfahrer wohl ihr/sein Eigen nennt. 1. Route, 2. Route, Hinwege, Rückwege, Zwischen- und manchmal Notwege. Die Fahrgäste von damals schickten Frau Bremer inzwischen eigene Kinder - mit dem Bewusstsein (oder unbewusst): Was soll an der Schullaufbahn meiner Kinder schon schiefgehen, wenn Frau Bremer sie fährt, die mich schon fuhr? Sicherheit weit über das Fahren des Busses hinaus können unsere Schulbusfahrerinnen abstrahlen. Und ängstlichen Abc-Schützen ebenso seelischen Beistand bieten wie pubertierenden Raufbolden Grenzziehungen. Einmal hat Frau Bremer einen 14jährigen aus dem Bus gesetzt in die Schneewüste eines Wintertages. Dieser hatte wie in einem Anfall die Kleineren mit Schuhen in die Unterleiber traktiert, und der Terror im kleinen Bus wurde durch Aussetzung beendet (wobei Frau Bremer als erstes die Schule verständigte, um dem Ausgesetzten Hilfe entgegenzuschicken). Einen anderen 14jährigen Fahrschüler (ihren eigenen Sohn Martin) beorderte sie dagegen an das Steuer des Busses, um diesen selbst mit allen übrigen Kindern aus einer Schneewehe zu schieben. Vertrauensbildung oder Misstrauensbildung bis Terror prägende Geschichten. Der Schulbus als Sozialisationsinstanz ist ebenso wichtig wie bisher außerhalb der Sozial-Forschung. „Auf guten Wegen" - frömmelndes Thema? Bei Thema „Kinder und Verkehr" ist mir schon manchmal nach Engeln... Fahrerinnen und Fahrer von Schulbussen sind vielleicht handfeste, irdische Ausgaben von ihnen. Mitsamt Marianne Bremer seien sie bedankt für Umsicht, Fürsorge und - Erziehungshilfen an unseren Kindern. Gute Fahrten im neuen Schuljahr „auf guten Wegen" - den äußeren Wegestraßen und denen in uns selbst.
8. September 1998