Vatertag
Muttertag - jährlicher Ehrentag für die deutschen Mütter, jeweils zweiter Sonntag im Mai. Sagt das Lexikon. Ich sag lieber nichts, weil (meine) Mutter sagt, sie wünsche keine Ehrungen am Muttertag, weil sie kalendarisch fremdbestimmt seien. Lieber mal so zwischendurch eine kleine Geste. Ansonsten hat sie nichts gegen Muttertag - für andere Mütter. Über den „Vatertag" hingegen, der übermorgen ist, sagt das Lexikon nichts. Keines meiner Lexika sagt auch nur ein Komma aus, geschweige etwas über einen Ehrentag für Väter. Zwischen Vaterstelle und „Vaterunser" müsste Vatertag stehen nichts steht da oder anderswo. Auch nicht im Zusammenhang mit „Himmelfahrt" ist etwas über Väter oder Vatertag zu lernen, obwohl Himmelfahrt - in katholischen Gegenden „Auffahrt" genannt - bekanntlich auch noch am Vatertag stattfindet. Vatertag das rätselvolle Fest. Noch rätselvoller als der Muttertag, über den es immerhin einige geschichtliche Kommentare gibt und vor allem hier und da eine gewisse Notwendigkeit, sich der Not mancher Mütter zu erinnern und hoffentlich zu wenden. Aber Vatertag? Die Autoren Glaser/Pützstück reproduzieren in ihrem Bildband „Ein deutsches Bilderbuch 1870-1918" einige Fotos, auf denen Männergruppen sich mittels ihrer damaligen Monstren von Fahrrädern auf Heidewegen an Birken vorwärts zu bewegen versuchen – „versuchen" deshalb, weil der Heidesand von damals nicht weniger mühevoll gewesen sein dürfte, als der heutige. Außerdem mühten sie sich - vermute ich - deshalb, weil dieses Foto die Körbe vor ihnen auf den Fahrrädern voll mit Flaschen gepackt zeigt und einzelne der Männer am Rande besagten Heideweges sitzen: Mit leeren Flaschen neben sich und einer Flasche zwischen den Beinen. Unterschrift dieses Bildes - nein, nicht „Vatertag". Sondern „Himmelfahrt". Erläutert wird weiter, daß Himmelfahrt traditionsgemäß ein beliebter Tag für Ausflüge von Vereinen, Männerbünden und ähnlichem sei. Ein weiteres Bild zeigt dörfliche Leiterwagen, die von Kaltblütern durch ein Dorf gezogen werden - voll mit Männern an einem offensichtlich sonnigen Tag, denn die Männer sind hemdsärmelig und auch von sich aus voll. Die vom Leiterwagen lustig geschwenkten Flaschen lassen mich dies vermuten. - Aha da ist sie, die historische Entstehungslinie des Vatertages. Denn diese Bilder von ehedem, vom Himmelfahrtstag, der traditionsgemäß Männervereinsausflügen gewidmet ist, weisen gewisse Ähnlichkeiten mit dem „Vatertag" auf, den ich aus der Kindheit erinnere: Da fuhren auch ganze Wagen und Wägelchen voller Männer durch Dorfkern oder Innenstadt, welche umso voller waren je leerer ihre Flaschen auf die Steine plumpsten. - Und ganz volle (Männer) ließen sich von Geschlechtsgenossen im Handwagen nachhause karren. Stolz ob der Fülle um und in sich. Nur Väter waren es selten, sondern Junggesellen. Und gesungen wurde - daß es den Himmel erbarmte. Und mit diesem Himmelserbarmen haben wir sie die einzige Verbindungslinie zwischen Männerbünden von damals, Vatertagen und - Himmelfahrt. Die Männer und Väter fuhren auf ihren Wagen in die Freiheit der Natur und/oder soffen sich die Freiheit der Seele durch Alkohol hinein, welcher bekanntlich zu den geistigen Getränken gehört. Immerhin auch von ferne vereinbar mit einem Himmelfahrtstag. Das war damals. Heute - vor allem dieses Jahr - wird es anders gehandhabt mit dem Vatertag. Immer noch dominieren die Fahrräder auf Heidewegen, aber die soziologische Struktur der Gruppen hat sich geändert: Die Familien fahren da ins Grüne und die Frauen und Mädchen überwiegen. „Papa - kommst Du mit, wenn wir am Vatertag einen Ausflug machen?" Aber gewiss doch, Mädchen und Frauen, wir Männer verzichten gerne auf den ohnehin fragwürdigen Rest einer ganz und gar nicht bemerkenswerten Männertags-Tradition. Noch nicht einmal im Lexikon steht, zwischen „Vaterstelle" und „Vaterunser". Machen wir eine Ausfahrt zusammen was von den Buchstaben her wieder eine Annäherung an „Auffahrt“ ist, der katholischen Bezeichnung für Himmelfahrt.
7. Mai 1991