Kirchliches

Natürlich geht der christliche Mensch Ostern in die Kirche. Wenn er „Vierrad-Christ" ist. D. h. statistisch viermal im Jahr (Weihnachten, Ostern, Pfingsten und im Schnitt alternativ eine Beerdigung oder Konfirmation oder Taufe) auf vier Rädern zur Kirche fährt . . . Ich hingegen gehe dies Ostern auch in die Kirche um eine gute Köhlerpfanne oder Harzforelle mit Harzer Käser als Abschluss festzuspeisen. Die ehemalige katholische Kirche in St. Andreasberg ist nämlich verkauft worden und jetzt ein Restaurant. Da sitzt der Gast in diesem schmucken Holzkirchlein entweder unten an drei Tischen wo früher die kleine katholische Diaspora-Gemeinde des Oberharzes im Gebet kniete und trinkt ein örtliches Bierchen zum Harzer Wildschwein. Oder er sitzt oben einer über den früheren Altarraum umgesetzten Empore, wo seinerzeit der winzige Hochaltar mit dem Kruzifixus endete. Bei seinem Anzünden seiner Zigarette oder Pfeife denkt dann mancher Gast an seine private, punktuelle Fortführung des ewigen Lichts, das ungefähr in dieser Höhe im harz-sturm-umtosten Kirchlein bis in dieses Jahrzehnt geschwankt hatte. Christine kennt die Örtlichkeiten der früheren Kirche nur zu gut, weil sie als gebürtige Andreasbergerin ihre katholische Lehrerin oft genug zum Licht begleitete, das sich nun als gar nicht ewig herausstellte. (Doch gerade diese frühere Kenntnis der Örtlichkeit verhindert auch, daß Christine unbefangen die neuen kleinen Örtchen aufsucht.) Das St. Andreasberger Kirchlein ist nur eine von zunehmend mehr Kirchen, die durch den Verkauf an die weltliche Welt säkularisiert wurde. Jedenfalls kenne ich keinen, der eine Kirche kaufte, um dann private Gottesdienste darin zu halten oder auch nur zu meditieren. Ich kenne nur Kirchenkäufer, die anderes im Sinn haben. In Hameln ist aus einem Gotteshaus ein Gasthaus geworden. In Mecklenburg-Vorpommern (wo noch mehr Kirchen als Schlösser für den sprichwörtlichen Apfel bzw. die symbolische 1 Mark zu kaufen gibt) ist eine Kirche ein PC- und Internet-Center geworden, das nun in alle Welt zu gehen vermag, was die Kirchen zwar immer beabsichtigten und versuchten - aber mit noch mehr Problemen verbanden und verbunden erlebten, als sie ein Laie am PC und dessen Eroberung hat. In Rostock ist ein Gotteshaus zu einem Wohnhaus geworden: Appartements füllen jetzt das ausgebaute Dach über dem Hauptschiff. Mit dem Fahrstuhl im Turm hat man seine private, kirchliche Himmelfahrt, die mit einem Traum von Ausblick belohnt wird. Der Kirchenraum ist keiner mehr, wohl aber noch Konzertsaal. In Lübeck ist die Petri-Kirche weltliches Kulturzentrum geworden, und wo weiland meiner Großmutter Vaterstimme seiner Gemeinde grollte, drohen jetzt geschmeidige Professoren-Stimmen den Politikern, verstärkt durch gotische Hallenakustik. Oder Politiker werben von der Kanzel das ihnen weglaufende Volk und teilen damit das Schicksal der heutigen Kirchen im Allgemeinen. In Sachsen gar, mit den meisten verkäuflichen Kirchen - da wurde ein Gotteshaus gar inzwischen ein Freudenhaus. Das sollte und wollte Kirche natürlich im gewissen Sinne auch immer sein, d. h. eben nicht im gewissen Sinne, sondern in anderem Sinne. Aber nun ist es ein Freudenhaus im diesseitigsten Sinne - allerdings erst mit dem inzwischen dritten Besitzer. Angesichts des Verkaufs der unheizbaren, unheilbaren, unrenovierbaren Kirchen, ist mir für die Zukunft der Kirche am wenigsten in den „Mischnutzungen" bange, wie ich sie in Ostern nutzen werde. Man kann wählen. Vormittags Gottesdienst, nachmittags Familienzentrum mit Flohmarkt (für Eier und verwandte Waren), abends Kinofilm (halbe Preise).

7.4.1998