Klo-Werbung

Es handelt sich hier nicht um irgendeine „Werbung für ein Klo", etwa eine neue Erfindung im Sanitärbereich der Luxusklasse. Oder so. Es handelt sich hier um die Weitergabe einer Information: Das Klo ist endgültig entdeckt als Ort der Werbung. Und unsere Provinznachbarn in Schleswig-Holstein haben mal wieder die Nase ganz vorn (was gerade im Bereich von Toilettenanlagen was heißen will...). „Kiek mol" ist über den Becken der nördlichen Herrentoiletten zu lesen, und darunter wird auf kleinen Plakaten für weit mehr und ganz andere Produkte geworben, als an den üblichen Automaten für jenen Kunststoff-Artikel im Doppelpack zu fünf Mark beziehungsweise 2,50 Euro. Diese neue Werbung „Kiek mol" ist wahrnehmungspsychologisch gesehen falsch betitelt. Denn die Aufforderung „kiek mol!" ist überflüssig, weil die Werbung an diesem gewissen Ort mit einer absoluten Lese-Garantie verbunden ist: Man(n) kann - vor einem solchen Becken stehend - überhaupt nicht anders, als lesen, was da in mittlerer Augenhöhe 25 cm Luftlinie fern die kahle, triste oder ewigpubertär vollgekritzelte Kachelwand dankbar unterbricht oder von den Begleit-Gerüchen solcher Lebensräume heilsam ablenkt. Man könnte dieser Werbung nur ausweichen, indem man den Ort mit geschlossenen Augen nutzt. Was gesundheitspolizeilich-volkshygienisch auf die Dauer verboten wäre. An meinem Becken in Lübeck wurde für Fahrräder geworben. Ausnahmsweise guckte ich mal zum Nachbarn rüber, obwohl ich solche Seitenblicke sonst krampfhaft meide, was der hat: Bei dem wurde für ein Autohaus geworben. Sehr klug mann-bezogene Werbung. Ich sinnierte, worüber wohl in den Damentoiletten geworben wird, und weiter sinnierte ich, ob das alles nicht auch für uns in Uelzen und Umgebung nachahmenswert ist. Wo schon der Name „Uelzener Becken" eigentlich auf eine solch zukunftsweisende Einrichtung immer schon hinwies. Unsere Uelzener Gastronomie-Toiletten würden vorzeigenswerter, als die meisten sind. Und unsere öffentlichen Anstalten und ihre Bedürfnisse ließen sich mit Öffentlichkeitsarbeit optimal verbinden. Vielleicht werben bei den nächsten Wahlen die Kandidaten schon über allen Becken? Mit Rabatt für die seitlichen Nebenplätze und Mehrkosten für die statistisch am meisten angesteuerten Mittelbecken und die in der Türnähe (=frische Luft)? Wir könnten die Lübecker überholen mit kleinen Video-Bildschirmen für Filme - wie im ICE und Flugzeug. Schließlich aber fiel mir mein Großvater ein. Dieser hatte nämlich besonders viele Zeiten auf der Toilette in seinem Pfarrhaus verbracht und auch eine Philosophie dafür: Auf diesem Ort sei er erstens extrem ungestört und zweitens geistig-kreativ, weil auch der Körper in Bewegung sei. Wenn ich meinem Großvater folge und nicht dem Konzept der WC-Werbung, würden wir selbst auf den bisher stillen Örtchen dieser Welt, was wir schon überall sind: Opfer der Werbung.

6.Oktober 1998