Im Herbsten der Bauer...
„Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt...". Während dieser idyllische Song im Liederbuch überall woanders seinen Sängern noch etwas sagt, sagt er den Kreis-Uelzenern nichts mehr, Hierzulande gilt: Im Herbst unser Bauer die Rüben abfährt... Eintausend Landwirte fahren jetzt täglich auf ihren mehr oder weniger komfortablen Treckern, Trucks, Unimogs mit den Anhängern im Schlepp auf Uelzen In Sternfahrten zu mit jenem Inhalt, der einer ganzen Jahreszeit den Namen gibt: Rübenzeit. Einer dieser tausend Landwirte ist Heiner. Von ihm möchte ich erzählen, weil er das Klischee jenes Bauern nicht erfüllt, von dem nur ungebildete, ignorante städtische Gockel glauben, es sei ein beschaulicher Beruf, so den ganzen Tag auf einem Rübentraktor Zeit zu haben, die man gut bezahlt bekäme... (Meistens sind die Meckerer die, die im Rübenstau um Uelzen steckenbleiben, weil sie kein gutes Timing haben). Heiner ist das Gegen-Beispiel für den mußevollen Rüben-Bauern. Er lehrte, er unterrichtete mich, er führte mich ein in Datenverarbeitung, in Computerwissen. Ohne Heiner würde ich diese Kolumne ebenso wenig wie das neue Buch oder die Institutsstatistik heutzutage so schreiben und berechnen können, wie ich es tue: Mal in Standard 10, mal kursiv, mal in Blocksatz, mal mit, mal ohne eingeschobene Graphik, mal mit und mal ohne Parallelisierung von Text- und Rechnerprozessen. Und meine Töchter könnten nicht am PC Frosch oder Autorennen" spielen, Christine keine Unterrichtsentwürfe proben. Heiner, den ich vorwiegend von seinen Schweinen und eben Rüben kannte, danke ich dies alles, und es begann in der Rübenzeit: Da stieg Heiner gerade auf seinen Truck, um mit Tochter Bettina gen Uelzens Zuckerfabrik zu fahren. Er auf enem ersten Rübenzug, Bettina auf einem zweiten. In diesem Moment hörte Heiner mit einem feinen Ohr trotz Trecker und Rübenstress, daß ich einen PC besäße - aber eben nur besäße, nicht bediente. Weil auch mein vierter Anlauf gescheitert war, die „für jeden verstehbaren" Handbücher aus der Feder eines pädagogisch gebildeten Autorenteams aus Amerika zu kapieren. „Ich komm mal nachher vorbei" meinte Heiner und robbte mit seinen Rüben von Luttmissen gen Uelzen. Zwischen durch rief er an und ließ sich das Problem bei mir genauer schildern, das darin bestand, daß ich nicht in das Programm kam, obwohl die Werbung dafür genau das Gegenteil pries. Heiner hat auf seinem Trecker Funktelefon, schon um sich mit Bettina weiter hinten auf dem zweiten Zug unterhalten, die nächste Planung planen, den morgigen Tag vororganisieren zu können. Von diesem Telefon aus diktierte er mir, wie ich in das Betriebssystem (MS-DOS) gelangen, von dort zur Textbearbeitung und mittels Druckertreiberumstellung zu einer ersten Geburt, einem Ausdruck käme. „Das Lernprogramm kannst Du überschlagen" riet Heiner noch. Abends saß er neben mir an meinem PC, roch ein wenig nach seinen Schweinen, weil er sofort nach der letzten Rübenfuhre und anschließender Schweine-Fütterung rübergekommen war. Heiner roch also nach meiner Heimat und tippte sich in mir fremde Programm-Welten vor - ebenso gleichmäßig und klar erklärend wie seine Schweinezuchtprogramme, für die ich mich ebenso interessiert hatte wie er für Musik. Außerdem saß Heiner noch eine weitere halbe Stunde und gab mir Befehle, Zum Üben!" Wenn Antonio Vivaldi heute und außerdem im Kreis Uelzen gelebt hätte - er hätte, weil wir ja hier außer Frühling, Sommer, Herbst und Winter noch die Rübenzeit haben Fünf Jahreszeiten" komponiert und die Rübenzeit zwischen Herbst und Winter gesetzt. Vermutlich gestützt durch ein Computerprogramm, das er mit Heiner erarbeitet hätte. Vivaldi hätte gar diese Jahreszeit Heiner gewidmet - so wie ich diese Kolumne.
6. Oktober 1992