Love-Mobil

Die einen wissen in Liebesdingen jenes, andere was anderes. Manche wenig. Ich zum Beispiel wusste bisher nicht den präzisen Terminismus für jene kleinen Busse oder Kombis, die zwischen Suderburger Kreuz und Breitenhees manche Waldschneisen, als auch Parkplatzeinfahrten verstopften. Was mir nur auffiel, war die Tatsache, daß in den Führerhäuschen dieser Minibusse mit Beginn der Dämmerung meist Licht brannte und weiter, daß die beleuchteten Fahrer alle Fahrerinnen waren. Auch weiß ich jetzt den genauen Namen für diese Auto-Gattung: Love-Mobil. Ich lernte ihn aus der Zeitung. Seitdem Großtante Ulrike meine Mutter ganz früher einmal gewarnt hatte, ich sei „chronisch neugierig" und mir meine Mutter erläuterte, dies sei völlig gesund, gebe ich meiner Neugier gerne nach und fuhr einmal die gewisse Strecke sehr viel langsamer, als ich auf meinem Weg (zur Ev. Akademie in Goslar) musste. Ich entdeckte auf meiner Langsamfahrt weiter, daß diese beleuchteten Fahrerinnen entweder in kleine Fernseher schauten. Oder gar in Büchern lasen. Auf der Rückfahrt einen Tag später (umgekehrte Richtung) schlich ich geradezu mit dem Auto und bekam denn auch den intimen Einblick mit, wie eine der Damen gerade ihren blonden Bubikopf unter einer Perücke mit langen, dunklen Haaren versteckte. Ich hätte wegen dieses Faszinosums fast gehalten, als besagte Dame mich gerade entdeckte und mir lebhaft zuwinkte. Dies ließ den Jungen in mir heftig rot werden und die 53jährige Hülle um mich herum eilig Gas geben. Die Information, daß diese Auto-Gattung „Love-Mobil" heißt, entnahm ich jenem Zeitungs-Bericht, nach dem die Polizei zwischen Suderburger Kreuz und Breitenhees eine Kontrolle vor- und die beleuchteten, lesenden, fernsehenden Frauen festgenommen habe. Vorübergehend. Abgesehen von dem strittigen Paradox im Juristendeutsch, überhaupt wie man festgehalten oder „vorübergehend festgenommen“ werden könne (wer geht da an wem vorüber oder was?), regte sich mein Mitgefühl: Denn drei dieser Frauen seien Polinnen gewesen ohne Ausweis und nun zusammen mit einer deutschen Frau und einem polnischen Mann aus dem Verkehr gezogen. Genauer: Sie waren aus dem Verkehr der Geschlechter miteinander am Rande des Straßen-Verkehrs zwischen Suderburger Kreuz und Breitenhees gezogen. Was mich mit den Frauen mitfühlen ließ: Daß der Mann absolut nichts mit den Frauen, schon gar nicht mit den polnischen, die er jedoch gekannt haben soll, zu tun gehabt habe. Das erinnert mich an Adam gegenüber Eva im Paradies: Da war es auch nur Eva gewesen, die den bösen Apfel ihm gegeben... Ganz im Ernst: Da gibt es sicher viele und einsichtige und möglicherweise auch sehr gute Gründe, die Love-Mobils aus dem Verkehr zu ziehen und der stationären Liebe (Love- Station) größeres Vertrauen zu schenken. Und dennoch: Ich bin gespannt und sicher, daß in Kürze im Landkreis anstellte der Strecke Suderburger Kreuz/Breitenhees ein anderer Strich unserer Landschaft sich mit Love-Mobils schmückt. Ich suche schon. Aber zum Beispiel die Gegend von Bodenteich fällt schon mal weg. Denn durch den Flecken fuhr ich auf dem Weg zu einem Konzert und jedenfalls diesen Flecken hat der Flecken nicht. Und auch sonst ziert diesen Landstrich kein Strich. Warum ich so gucke? Weil ich mal gelernt habe, daß grundsätzlich jedes Aus-dem-Verkehr-Ziehen von den sogenannten „Schattenseiten" unserer Gesellschaft dafür sorgt, daß diese Schatten auf einer anderen Seite ihrer (unserer) Medaille garantiert wiederauftauchen. Symptomverschiebung nennt man das in der Psychologie. Zwangsläufiger Marktnischen-Transfer im Organisationsmanaging. Denn ebenso gefälscht wie Haarfarbe oder Ausweis „der Damen" gefälscht sein können, ist die Meinung falsch, mit dem Wegfall des Straßen-Strichs in unserem Süd-Westkreis sei der Landstrich sauber. Und wir moralischer.

5.Mai 1998