Mickey und andere Mäuse

Alexander betrat wieder einmal mit einer Miene das Zimmer, welche eine emotionale Mine befürchten ließ. „Micky Maus war mir als Junge verboten worden, Fix und Foxi auch“, brach es dann aus ihm heraus, als ich ihn vorsichtig auf seine vermutete Seelenlast ansprach. „An Prinz Eisenherz kam ich auch nur heimlich ran und heute geht das Verheimlichen schon wieder los!" Geschehen war dies: Alexander gehört zu den seltener werdenden Pädagogen, die sich noch als Vorbild für die heranwachsende Jugend sehen. Besonders seinen Schülern gegenüber. Denen predigte er auch von den Gefahren zu ausschließlichem Comic-Lesens. Bei seinen eigenen Kindern zeigte er sich wesensmäßig schon vollständiger und las in Gegenwart seiner Kinder in der Freizeit deren Literatur, die diese auch lasen. Eben Micky Maus, Fix und Foxi und anderes. Als Alexanders Kinder kleiner waren, begründete Alexander seine Comic-Lesekultur noch mit der elterlichen Verantwortung, sich schließlich kundig machen zu müssen darüber, was die Kinder läsen. Das hatten seine Alexanders-Eltern auch gemacht. Und Comics grundsätzlich verboten, weil diese wirkliche Lesekultur untergrüben. Und für Alexander waren seine Eltern noch Autoritäten, denen er folgte. Er las eben nur heimlich Micky Eisenherz und alles dies. Je älter Alexander und vor allem seine Kids wurden desto weniger erwähnte Alexander dieses Argument von der nötigen Kontrolle der Literatur seiner Kinder. Und er las trotzdem die ausgelesenen Comics seiner Kinder weiter. Und wenn diese krank wurden, kaufte er gleich mehrere. Als Trost, Krankheitszeiten waren Ausnahmezeiten, Verwöhnungszeiten. Nun hatte jemand Alexander mit seiner Schwäche verpetzt: Ausgerechnet auf einem Elternabend seiner Klasse, an dem Alexander wieder gegen zu viel Comics wetterte, kam es zum Eklat. Eine mutige Mutter sagte in der Diskussion, daß er - Alexander - doch schließlich selbst den Comics fröne. Und auf Alexanders besonders strenge, nachbohrende Frage, nannte die Mutter als Petze - Alexanders jüngere Tochter. Diese lieh nämlich ihrer Freundin, der Tochter jener Mutter, massenweise Comics aus. Das alles war vor einem Vierteljahr. Seit heute hat Alexander kein Comic-Problem mehr. „Schau Dir das an!" kam er auf mich zu und wedelte mit einem Packen Zeitungsausschnitten und Magazinen wie mit einer Siegesfahne, „wer hätte das gedacht?!" Und dann las mir Alexander vom Dalai Lama vor, einem von Alexanders heutigen großen Idolen: Der Dalai Lama, geistiger Führer der tibetischen Buddhisten, habe extra eine offiziell als privat bezeichnete Reise in das Cinquantenaire-Museum in Brüssel gemacht. Um die darin hängenden Originale von „Tim und Struppi" bzw. dessen Zeichner Herge zu bewundern. Der Dalai Lama sei seit langem ein Verehrer dieser Comics, von denen es sogar ein Kapitel „Tom und Struppi in Tibet" gebe. Ein Lieblingssatz von Alexander ist üblicherweise: „Autoritäten sind nötiger denn je.“ Ich habe ihm diesen seinen Satz aber noch zitiert heute. Alexander kann empfindlich sein. Wie gut aber, daß auch er sich seine Autoritäten heutzutage - nach seinen Neigungen aussuchen kann Es gibt beliebig viele.

3. Juni 1997