Von Gurkensuppe und Beten
Normalerweise wurde in dieser kleinen Gesellschaft gebetet. Nicht unbedingt lange Gebete, auch nicht mehr Dankgebete nach dem Essen. Aber immerhin noch davor. Das wundert auch nicht, denn Gastgeber und Schwager waren Pastoren. Professionelle Gottesdiener. Aber was war es nun, dass diese Gesellschaft schon zu essen begonnen hatte - ohne zu beten? War es die unbewusste Beleidigtheit der beiden (evangelischen) Geistlichen wegen der aktuellen offensichtlichen Bevorzugung der katholischen Kirche anlässlich Papst-Tod und Papstwahl? Nie zuvor hatte Gott einen solch globalen Medienrummel für eine seiner Kirchen über ganze Tage, ja fast zwei Wochen gesorgt! Jedenfalls wurde Cousine Carolines Toprezept Gurkensuppe (mit Lachsstückchen) unfromm lukullisch-materialistisch gelöffelt. Christine zögerte mit dem Löffeln und sprach ihr Verwundern laut aus, worauf Chaos durchbrach: Die einen ließen schuldbewusst Gurkensuppe mitsamt Lachs auf die Serviette (Damast!) in den Schoß sinken. Das waren die Abwartenden. Andere stellten die Suppenschale (Meißener Porzellan!) auf dem Tisch ab und falteten die Hände schneller als beim Stoßgebet im Angesicht des Feindes (die Schuldbewussten). Einer der Gäste (einer der professionellen Gottesdiener) wollte sich mit Gott versöhnen und stimmte umgehend ein Danklied an. Seinem Namensvetter Luther folgend: Singen ist doppeltes Beten! „Nun danket alle Gott..." wurde er laut und kräftig und alle stimmten ein. Nun hat ein Lied nicht nur eine Strophe, sondern meistens mehr. Während ein Gast schon nach der 1. Strophe beim Atem- holen der anderen „Amen“ sang und in Richtung Löffel griff, sang sich der Onkel siegreich und textsicher in die 2. Strophe hinein („Der ewigreiche Gott/ woll uns bei unserm Leben..."). Aber während die neue Strophe Bitte tat um ein fröhlich Herz und edlen Frieden fehlte den Mitsängern der Text und damit der fröhliche Frieden macht. Die Ehefrau des tapfer weiter singenden Geistlichen blitzte ihren Mann ebenso mehrfach wie vergeblich an, er möge aufhören. Aber der schwelgte in seinem Gesang und sang sich voll Kraft in die dritte Strophe. Da passierte es: Seine Frau nahm die Meißner-Schale wieder hoch - und setzte das Löffeln der Gurkensuppe fort. „Ich esse lieber Suppe warm - während mein Mann lieber länger singt", sagte die Frau Pastor gelassen in die peinvolle Stille nach der letzten Strophe (,,Lob uns Ehr und Preis sei Gott..."). Danach wurde das kürzeste Gebet gesucht. Für solche Situationen, in denen das Essen auf- getan und noch warm war, aber gebetet werden musste. Hier ist das Ergebnis: Dieses noch mehr und „segne uns Gotte der Herr!" Josef aus Brig hat es mitgebracht und obwohl Josef und das Gebet katholisch sind, wird es in Zukunft als Notgebet genutzt. Katholiken sind manchmal einfach praktischer.
3. Mai 2005