Möllner Spiele

Hajo fährt heute nach Marburg. Hajo übt einen seltsamen Beruf aus: Hajo ist Spiele-Erfinder. Er bringt bei seinen Besuchen in Uelzen jeweils ein neues Spiel mit: Dorothea kriegte einmal sein Affenspiel aus dem einen Verlag, Friederike kürzlich Würfel mit Menschengesichtern statt Zählpunkten. Christine spielt längst mit einer ganzen Spielkartei für Klassen in ihrer Klasse, die Hajo zusammenstellte. (Nur ich gehe leer aus, weil ich zugegeben - zu langsam im Begreifen von Hajos schnellen Spielen bin...) - Hajo hat mehrere Preise bekommen und ist ein bekannter Mann, sozusagen ein superaffengeiler Ober-Spieler. Sagt Friederike. Heute fährt er nach Marburg, um sich mit Verlegern von Spielen, mit Redakteurinnen von Spiele-Büchern und mit Geschäftsleuten, die Spiele-Läden und ganze Spiele-Läden-Ketten besitzen, zu treffen. Wegen Mölln. Ja. Mindestens auch wegen der Morde in Mölln. Genau so scheinbar fehl am Platze- was hat Mölln mit Spielen zu tun? - scheint auch eine Kolumne nicht der geeignetste Ort, um über Ausländerfeindlichkeit und Rassenhass, Extremismus und Nationalismus nachzudenken, die immer mehr das Gesicht unserer Zeit bestimmen" (sagte Hajo). In unserem Fall bestimmt Mölln und das, wofür Mölln inzwischen Symbol ist, nicht nur allgemein unsere Zeit", sondern sinnigerweise unsere Adventszeit. Doch davon gleich. Zunächst fährt Hajo nach Marburg und trifft dort all die Leute, die mit Spielen zu tun haben und der Meinung sind, daß das Spielen eines der wichtigsten Kulturgüter ist. Und daß sie, die für Spiele und Spielen verantwortlich sind, sich eindeutig äußern sollten zu diesen gewaltverherrlichenden, rassistischen und chauvinistischen neuen, - alten, noch gar nicht so alten Merkmalen dieses Deutschlands. Die Spiel-Profis in Marburg werden ausgelöst durch Mölln - ihren Verlegern nur noch Spiele für den Markt anbieten, die durchgesiebt, geprüft daraufhin sind, daß keine rassistischen (auch keine niedlichen kleinen „Negerspiele"), keine gewaltverherrlichenden Themen im Spiel auftauchen. Sie werden den Handel bitten, solche Spiele, die Gewalt oder Rassismus spielerisch verharmlosen, nicht mehr auf den Ladentisch, geschweige in das Schaufenster schieben. Denn die, die in Mölln mit dem Entsetzen spielten, lernten ihren Umgang mit der Gewalt möglicherweise im Spielen und in Spielen ihrer Kindheit. Und diese hat dann auch mit der Ignoranz, der Erziehungsblindheit ihrer Eltern und derjenigen zu tun, die ihnen diese Spiele zwischen Gruseln und Horror erlaubten. Oder sie auch nur duldeten…Die Spieler-Runde in Marburg will keine heile Welt ins Spiel zwingen, die es nie gab. Im Gegenteil. Sie werden Spiele entwickeln, die höchst unterhaltsame, spannende, sogar anspannende Problemanforderungen stellen: an die kleinen und großen Spielenden an den baldigen Weihnachtstischen. Eines jedoch soll allen Spielen, alten wie neuen und noch zu erfindenden, gleich sein: Die gespielten Probleme und Auseinandersetzungen mit ihnen dürfen niemals - auch im Spiel und gerade im Spiel mit Gewalt gelöst werden! Mölln - und wofür es inzwischen steht - bestimmt nicht nur unsere Zeit, sondern die gegenwärtige Advents- und Weihnachtszeit. Schlimm? Paradox? Unwillkommen? Für diejenigen, die jetzt Spiele kaufen und Weihnachten spielen gehen - eine richtige Zeit. Um vorzudenken, was aus falschen Spiele(r)n alles werden kann.

1.Dezember 1992