Handy in der Bundeswehr

Hartmut ist derzeit in der Grundausbildung beim Bund und zwar weit von der heimatlichen Heide entfernt in Aachen. Solche Zeiten bescheren einem die Erfahrung von Heimweh, besonders wenn Liebe im Spiel ist. In früheren Armeen wurden Heimweherkrankungen mit bündelweisen Briefen oder Gedichten per Post behandelt (einige Produkte dieser Art gingen in die Literatur ein). Und meine Generation stand noch endlos Schlange und sich Beine in den Bauch vor den Kasernen nahen Telefonzellen. Auch bei tiefstem Frost und dauerhaftestem Sturmregen. Heute behandelt sich der heimwehkranke Soldatennachwuchs mit Handy. Dem Hartmut hat sein Handy als Heimweh-Medikation gestern einen gewaltigen Rüffel und zudem eine Bundeswehrreform eingebracht, die er nicht wollte. Da stand er bei einem seiner ersten Appelle mit 45 ebenfalls jungfräulichen Grundauszubilden, die alle ihre Jungfrauen zuhause harren glaubten, in Reih und Glied, um eben das Stechen in Reih und Glied zu üben. Sie übten dies mehrmals: Locker stehen und auf den Brüllruf des trainierenden Feldwebels hin strammer stehen als die Eichen in der Uelzener Heimat. Endlich schien der Feldwebel etwas besänftigter, jedenfalls veränderte sich seine Miene entfernt in Richtung Zufriedenheit glaubte Hartmut hoffnungsvoll zu beobachten, als sein grimmiger Trainer musternd an ihm vorbeistrich. In diesem Augenblick erklang es - sein Handy, das er auf der Innenseite der Uniform deponiert hatte. Es hätte ja sein können, daß seine Friedrun in ihrer Mittagspause anklingelt. Nun wäre es allein schon ein Problem gewesen, daß das Piepen unter Hartmuts Jacke den prüfenden Schreitgang des Feldwebels störte. Hinzu kam aber, daß nicht nur Hartmuts eine Hand erschreckt zum Handy hinter der Jacke fuhr, sondern vier andere Hände anderer Soldaten neben Hartmut in der ersten Reihe, die sich ebenfalls auf ihren in der Uniform versteckten Handys angerufen glaubten. In der zweiten Reihe waren nochmal drei weitere. Aus der Sicht des Feldwebels war es so, daß auf Hartmuts Handy beziehungsweise Friedruns Anruf aus Uelzen hin (sie war es) ein Teil der Bundeswehr zusammenbrach, zumindest jede Disziplin verlor, die gerade so mühsam erstanden worden war. Jedenfalls diese ersten zwei Reihen in Aachen verloren positive Image: Verrutschende Jacken, dahinter verschwindend Uniformärmel, chaotische wedelnde Gewehrkolben und allerseits grienende Gesichter der Kameraden, die kein piependes Handy trugen, sah der Feldwebel und brüllte, was er brüllen konnte. Den Anlaß für seinen Brüllanfall schrieb er für seinen Komandeur auf, weswegen jetzt überall in Aachen und demnächst in anderen Kasernen dasselbe steht, wie in guten Restaurants und Konzertsälen: No Handy! Und das alles wegen Friedruns Anruf aus Uelzen.

1.Juli 1997