Katasteramt und HI. Geist

Alexander hat ein Grundstück gekauft. „Gestern war der große Tag", strahlte Alexander. Ich gratulierte ihm und fragte anschließend teilnehmend nach den Gebühren, die sowas ja kostet. Notar, Katasteramt - ach ja... „Aber nein," korrigierte Alexander, „ich war nicht beim Notar, die Männer vom Katasteramt waren zum Vermessen da." „Und das war der große Tag?", fragte ich ungläubig und erfuhr dann die Geschichte: Das Grundstück, was Alexander kaufte, lag bisher im jungfräulichen Zustand eines frischen Ackers am Dorfrand und musste erst einmal völlig neu vermessen werden, um ein Bau-Grundstück zu werden. Die Vermessung trägt in solchen Fällen den Charakter einer Taufe oder einer Konfirmation, also der Erhöhung, der Reifung des Grundstücks. Lernte Alexander. Sowas braucht ein Ritual. Aber während Alexander (und ich auch) bisher an den Männern vom Katasteramt vorbeifuhren und mehr deren Geräte auf drei Beinen anstaunten als die Männer auf ihren zweien und alle zusammen eher als notwendiges behördliches Übel ansahen, gestalteten sie jetzt einen großen Tag für Alexander und seine Familie. „Möchten Sie eine Flasche unter den Grenzstein?" hatte der eine der drei Männer Alexander gefragt, und der hatte an eine indirekte Selbsteinladung zum Schluck gedacht. Mitnichten - der Herr vom Katasteramt meinte wirklich, ob Alexander unter den Grenzstein eine Flasche mit Nachrichten für die Nachwelt einbuddeln lassen wollte. Alexander kannte solche Grundsteinlegungen mit Rollen voller Urkunden und Dingen für die menschliche Ewigkeit nur von neuen Kirchen, für Behördentempel oder selbstgebaute Vereinsbaracken - aber er, Alexander? Auf ewig in der Mutter Erde? Mit seinem kleinkapitalistischen Grundstück, das erst eins werden sollte? Er durfte auch? Alexander durfte. Also entwarf er am heimischen PC in aller Eile eine Urkunde, wünschte auf dieser allen, die mit dem Grundstück je zu tun haben würden, alles Gute, klaubte Münzen zusammen, opferte die aktuelle Ausgabe der Heimatzeitung und unterschrieb dies alles Schwung und in tiefer Andacht mit auf der Urkunde mit Frau und Kindern. Dann wurde alles eingebuddelt und die Prozedur auf Polaroid ebenso auf ewig festgehalten wie die Dinge in der Flasche. Menschliche Ewigkeit. Was das Katasteramt mit Heiligem Geist zu tun hat? Oh, Alexander ließ sich belehren, daß die Vermessung inzwischen teilweise mit außerterrestrischer Hilfe erfolgt: Mittels Satellit. Einleuchtend, daß dies genauer ist als nur durch den Menschen. Obwohl alles, was von oben kommt (hatte Alexander früher gelernt) mit Heiligem Geist zu tun hat. Mit Pfingsten. (Und tatsächlich ziert den Grenzstein vom Amt obenauf ein Kreuz...) Schlussphilosophie: In gewisser Weise ist ein Katasteramt die solideste mir bekannte Himmel- und-Erde-Achse mit seinen Vermessungssignalen über Satellit auf gutem erdigen Uelzener Grund. Speziell das Uelzener Amt ist dazu noch sympathisch aufgrund seines Geschichtsbewusstseins, seiner Sensibilität für kleine, brauchbare Brauchtums-Rituale.

1.Juni 1993